Glück und Glas:
Sigi Franz und sein GlasPunkt in Burghausen: „Scheiß dir nix, dann feit dir nix“ – Der Glasbläser spricht über das Leben, die Arbeit und die Kunst des Loslassens.
„Groß und mächtig, schicksalsträchtig. Um seinen Gipfel jagen Nebelschwaden!“ Die Tür zum Laden in den Grüben 140 steht sperrangelweit offen, der winterlichen Kälte zum Trotz. Dissonant-bedrohlich baut eine Orgel den Schicksalsberg „Watzmann“ in der Burghauser Gasse auf, dazu fegt der eisige Dezemberwind durch die Grüben. Das Schlagzeug setzt ein, Wolfgang Ambros singt unheilschwanger „A Donnern schicktar oft ins Tal, und dann schaudats olle aufamal.“
Im Halbdunkel des Raums hinter der Tür faucht ein Bunsenbrenner, die Flamme lodert, ihr Licht spiegelt sich in zwei roten Brillengläsern. Drüber ist ein Piratentuch zu erkennen, darunter Bart. Viel Bart. Und zwei Hände, schwielig, schrundig, beringte Hände, die einen Glasgegenstand ins Feuer halten. „Watzmann, Watzmann, Schicksalsberg – du bist so groß und i nur a Zwerg!“ Reichlich bizarr, diese Szenerie. Draußen helllichter Mittag, drinnen das düstere Ambros-Rusical und eine Gestalt, die auf einer Harley easy riden oder in die Wanten der „Black Pearl“ klettern sollte. Get your motor runnin‘, hollarödulliöh, klar zum Entern.
Der Stimmungsaufheller trifft mich unerwartet: „Komm rein!“ Piratentuch, rote Brille, Bart, Hände haben eine Stimme, freundlich, offen, warm. Der Mann am Bunsenbrenner legt das Glasding weg, stellt die Musik leiser, lacht mich an. „Was kann ich für dich tun?“ Ich stell mich vor, umreiße mein Anliegen, ich wolle eine Geschichte über ihn und seinen GlasPunkt für ein Regionalmagazin schreiben und dafür einen Termin vereinbaren. Der Handwerker nimmt die Schutzbrille ab. „Geh, setz dich her! Das erledigen wir sofort.“ So ist er also, der Glasbläser Sigi Franz. Kommunikativ, spontan, nahbar.
Ohne Umschweife findet er den Draht zu seinem Gegenüber, er nimmt sich Zeit. Nicht nur für Schreiberlinge, die seinen Laden featuren wollen, mitnichten. Das kann ich in den folgenden acht Stunden hautnah miterleben: An diesem Nachmittag kommen einige Leute in die Werkstatt. Die werden umarmt, ins laufende Gespräch einbezogen. Seine Frau Silvia, ein Sauerstofflieferant, Mitarbeiter Alexander Magiera, ein Chemiker, Sohn Christopher, ein alter Freund, zwischendurch ruft ein Tüßlinger Gemeinderatsmitglied an. Für jeden hat er zwei offene Ohren. Kein Smalltalk, sondern ehrlicher Austausch. Zum Arbeiten wird Sigi Franz nicht mehr kommen. „Egal, ich muss heute eh eine Nachtschicht einlegen.“
Dunkle, warme Arbeitshöhle inklusive Handwerkerromantik
„Ich mach uns erst mal einen Kaffee.“ Zeit, sich in der Werkstatt umzuschauen. Rechts neben der Tür in einem Regal sind zahllose Glasröhren gestapelt, der Rohstoff für die Kunstwerke, die im GlasPunkt entstehen. Links Maschinen und Geräte, ein Brennofen, wie ich vermute, und eine Vorrichtung zum Glasziehen. Auf einem Kasten aus Metall stehen zwei etwa 50 Zentimeter große gläserne Elefanten mit seltsam dünnen, langen Beinen. Sofort ist klar, dass dafür Salvador Dalís Gemälde „Die Versuchung des Heiligen Antonius“ Modell gestanden hat.
An den Wänden gibt’s praktisch keinen freien Quadratzentimeter, hinter Sigi Franz‘ Arbeitstisch sind Sterbebilder von Wegbegleitern, Freunden angepinnt, die Mauer hinter den großen technischen Gerätschaften ist mit Titelblättern uralter Kinoprogrammhefte regelrecht tapeziert, Sepiatöne dominieren den Raum. Auf dem Arbeitstisch spuckt der Bunsenbrenner Flämmchen, in einer gelöcherten Holzleiste stecken Glasröhrchen. Die Werkstatt wirkt wie eine Höhle, eine dunkle, warme Arbeitshöhle. Handwerkerromantik, beinah zeitlos. Einzig ein Laptop könnte als Hinweis darauf gelten, dass die Moderne auch vor der altehrwürdigen Glasbläserei nicht Halt macht.
Nachfolge ist schon geregelt
„Da bin ich gar keiner.“ Sigi Franz kommt mit zwei Kaffeetassen zurück und hat meinen Blick zum Computer bemerkt. „Die Kiste brauch ich nur für meine Musik. Und ab und zu, wenn ich was googeln muss. Für das moderne Zeug sind die Buben zuständig, die sind da voll drin. Das tu ich mir nicht mehr an.“ Die Buben – das sind Sohn Christopher (22), Alexander Magiera (24), Andreas Staudinger (27). Die sind nicht nur gelernte Glasbläser, sondern seine designierten Nachfolger. „Wir sind wie eine Genossenschaft. Klar, ich kann den Buben noch einiges beibringen, aber die Entscheidungen für die Zukunft des GlasPunkt treffen sie. Sie haben zum Beispiel Instagram als Marketingschiene entdeckt und nutzen sie. Wir verkaufen inzwischen einiges in die Staaten…“
Sigi Franz ist begeistert von seinen jungen Mitarbeitern, menschlich sowieso, und fachlich funktionieren sie ideal miteinander. „Chrissy ist der Mann der Zahlen, Alex der Malocher, dem keine Arbeit zu viel wird, und Andy ist heute schon der Künstler im Team.“ Die Drei sind nicht Kollegen, sie sind Freunde, ein Kollektiv. Deshalb sollen sie den GlasPunkt gemeinsam, zu gleichen Teilen bekommen.
Christopher hat den Beruf an der Glasfachschule in Zwiesel erlernt. „Er hatte die Wahl: Chrissy hätte seine Ausbildung auch bei mir machen können. Aber ich weiß nicht, ob das funktioniert hätte, so eine Vater-Sohn-Geschichte.“ Christopher entschied sich für Zwiesel, holte sich da die Basics. „Mit einer abgeschlossenen Ausbildung ist man aber noch lange kein fertiger Glasbläser. Es dauert Jahre, bis man Glas versteht.“ Deshalb bekommt Christopher im Betrieb sein fachliches Finishing. „Nächstes Jahr ist er soweit. Dann werde ich mich zurückziehen.“
„Es geht nicht ums Haben, sondern ums Machen“
Loslassen. „Das hab ich im Laufe meines Lebens gelernt. Nichts hält ewig.“ Glas ist fragil, in jedem Zustand. Ist der Glasbläser nur einen Augenblick unachtsam, kann das Objekt verdorben sein. Ist es abgekühlt, ist es zerbrechlich. „Mir kommt’s auf den Schöpfungsprozess an. Flüssiges Glas und ich, wir sind dann eine Einheit. Ist das Objekt fertig, kann es weg, in den Verkauf, zum Auftraggeber. Es geht nicht ums Haben, sondern ums Machen.“ Ums Loslassen. „Wenn du in dem Beruf nicht loslassen kannst, dann kann’s dir unter den Händen zerbröseln. Passiert.“ Doch dann greift Sigi Franz‘ Lebensmotto: „Scheiß dir nix, dann feit dir nix.“
„Voda, Voda, loß mi ziagn, da Berg, i muaß eam untakriagn.“ Ambros liefert den Soundtrack zum Gespräch. Das Prinzip Loslassen auch da, der Vater kann den Buben nicht halten, der muaß auffi aufn Berg. „Da Watzmann! Jetzt! Jetzt hat er ihn packt! Jetzt, Jessas – er fallt! Er fallt!“ Im Regal vor Sigi Franz‘ Arbeitstisch lehnt ein Bilderrahmen mit dem Porträtfoto eines Teenagers, das Gesicht von dunklen Locken eingerahmt, unbekümmert blickt er den Betrachter an, so unbekümmert wie ein junger Mensch eben schauen sollte. Vor dem Foto flackert eine rote Grabkerze.
„Seit zehn Jahren hat jeder Tag dieselbe Struktur: Ich steh sehr früh auf, spring in die Klamotten und geh auf den Friedhof.“ Gegen 6 Uhr steht er in seiner Heimatgemeinde Tüßling vor dem Grab, dessen Grabstein eine große Glaslinse ist. Im Zentrum der Linse ist ein Herz mit den Worten „One Love“ zu sehen, ringsum angeordnet sind Symbole für Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Am Grab erzählt Sigi Franz, was am Tag davor los war, was ansteht. „Das ist ein tägliches Ritual. Und wenn ich nach einer langen Nachtschicht in der Werkstatt schlafe, dann zünde ich eben hier die Kerze an und spreche mit ihm.“
Der tägliche schwere Gang
Dem gestandenen Mannsbild steigen die Tränen in die Augen. Das Grab, das er da täglich besuchen muss, ist das Grab seines Sohnes Alexander. Den hatte ein Autofahrer am Abend des 18. September 2008 in Altötting vom Rad geholt. Der 14-Jährige war sofort tot; der Autofahrer, ein damals 27-jähriger Tüßlinger war laut Gutachter mit bis zu 90 Sachen durch Altötting gerast und hatte 1,66 Promille Alkohol im Blut. Zwei Jahre auf Bewährung bekam er, obwohl er schon einmal wegen einer Trunkenheitsfahrt belangt worden war. Unter anderem. Weil das Gericht eine Mitschuld des Teenagers nicht ausschließen konnte.
Sigi Franz kann es bis heute nicht fassen, dass der Strafverteidiger in seinem Plädoyer auch noch Otto Wiesheu als „Entlastungszeugen“ anführte, der 1983 mit 1,99 Promille einen Verkehrsunfall verursacht hatte, bei dem ein anderer Autofahrer getötet und dessen Beifahrer schwer verletzt wurde. Der damalige CSU-Generalsekretär war in zweiter Instanz zu einer zwölfmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt worden. Seit diesem Urteil, führte der Verteidiger des Tüßlinger ins Feld, habe sich das geändert, dass ein Autofahrer, der wegen Trunkenheit einen tödlichen Unfall verursache, zwangsläufig ins Gefängnis müsse. „Damals im Gerichtssaal habe ich mein Vertrauen ins System vollends verloren“, erzählt Sigi Franz.
„Wir leben in Tüßling; der, der uns den Sohn und den Bruder genommen hat, war ein Tüßlinger. Tüßling ist ein Dorf, da läuft man sich ständig über den Weg. Ich hab ihn im Biergarten sitzen sehen, lachend. Das Auto mit den Jägermeister-Sitzbezügen stand rum, die Delle von Alex‘ Aufprall… Schlimm.“ Inzwischen ist der Unfallfahrer weggezogen. „Das macht es etwas leichter.“ Dass die Trauer je aufhört, glaubt Sigi Franz nicht. Drum auch der tägliche Gang zum Grab.
Nur der Not keinen Schwung lassen
Der Sigi wäre nicht der Sigi, wenn er sich im Gespräch der Schwermut hingeben würde, nein: Nur der Not keinen Schwung lassen. Und deshalb schiebt er auch gleich eine Anekdote hinterher. Kürzlich ging er wieder frühmorgens, es war noch dunkel, zum Grab. „Wenn ich das Tor zum Friedhof aufmache, bin ich immer der erste. Dann ruf ich immer ein lockeres ,Guten Morgen‘ in die Runde. So bin ich halt.“ Eine Antwort erwarte er so früh natürlich nicht. An diesem Tag aber schallte im postwendend ein ebenso munteres „Guten Morgen“ entgegen. Eine alte Frau war schon vor ihm auf dem Friedhof, um sich ums Grab eines Angehörigen zu kümmern. „Mich hätt‘ fast der Schlag getroffen. Mit so etwas rechnest du ja nicht.“
Loslassen. Nix is fix. Diese Lektion hat ihm das Leben schon früh erteilt. Sein Vater hat die Familie – Mutter, Bruder, Schwester – früh verlassen, weil der mit der Alkoholsucht seiner Frau nicht fertig wurde. Die Geschwister landeten für einige Zeit im Kinderheim in Altötting. Auf, ab, on, off. Sigi Franz meint, seine Extrovertiertheit habe ihm letztlich wesentlich durchs Leben geholfen. „Ich hab schon immer viel geredet, bin auf die Menschen zugegangen.
Der Schritt in die Selbstständigkeit
Nach der Volksschule bekam Sigi Franz einen Ausbildungsplatz zum Glasapparatebauer bei Hoechst in Gendorf. Beim Meisterkurs fiel er den Lehrern auf – durch sein Können einerseits, durch seine kommunikative Art andererseits. Nebenbei hatte er sich in der heimischen Garage Techniken und Fertigkeiten weit jenseits der Anforderungen des Glasapparatebaus beigebracht. Hier lebte er seine kreative Ader aus. Er bekam erste Kursleitungen, die Zwieseler wollten ihn als Lehrer an der Glasfachschule.
1998 kündigte Sigi Franz seinen Job bei Hoechst, nahm seine Frau Silvia und die beiden Söhne und siedelte nach Zwiesel über. „Meine Frau schließt nicht so schnell neue Kontakte. Sie war viel allein mit den Kindern und wurde in Niederbayern unglücklich. Ich hatte eine Entscheidung zu treffen – entweder für die erfüllende Arbeit mit jungen Menschen, mit denen ich meine Begeisterung für die Glasbläserei teile. Oder aber für meine Familie, für die Menschen, die mir am meisten bedeuten.“
Natürlich hat er sich fürs Glück seiner Frau und seiner Kinder entschieden. Die Familie Franz kehrte in den Landkreis Altötting zurück. Arbeit im Werk Gendorf? Kam für Sigi Franz nicht mehr in Frage. Also: Selbstständigkeit. „Ich habe Silvi und die Buben drauf eingeschworen, dass eine harte Zeit anstehen würde. Viel Arbeit, wenig Freizeit, wenig Urlaub.“ Aber alle waren sich einig, dass der Weg der richtige sein würde.
Lebendige Werkstatt
In Burghausen fand er passende Geschäftsräume in den Grüben. Werkstatt, Laden, ideal. Und der Name der Firma war auch schon gefunden: GlasPunkt. „Weil es mir wichtig ist, einen ,Punkt‘, einen Fixpunkt zu haben, an dem Menschen aufs Handwerk treffen, wo gelebt und nicht nur gearbeitet wird.“ Eine lebendige Werkstatt also. Eine Werkstatt, in der Freunde und Fremde aus und ein gehen, in der Schulklassen und Kindergartengruppen vorbeischauen. In der Sigi Franz jedes erste Wochenende im Monat Glasbläserkurse gibt und dabei Menschen für sein Handwerk und für seine Kunst begeistert.
Aber nicht nur „ganz normale“ Menschen stehen baff vor seinen Arbeiten. Auftraggeber sind unter anderem auch namhafte Künstler wie Jürgen Fox aus Salzburg und Melanie Grieder-Swarovski, in Kunstkreisen besser bekannt als „Melli Ink“. Die vier apokalyptischen Reiter, mit denen Melli Ink international Furore gemacht hat, stammen aus der Burghauser Glaswerkstatt.
„Lass mich von den Buben gern da hinschieben, wo sie mich brauchen“
Alex Magiera schaut in die „Arbeitshöhle“. Sigi Franz muss noch dringend fünf Gläser gravieren. Wir wechseln in die große Werkstatt hinter dem Geschäft. Hier ist es deutlich heller, moderner. Silvia Franz arbeitet an Glaskugeln, wenn sie sich nicht um die Kundschaft im Laden kümmert, an drei weiteren Arbeitsplätzen sitzen, blasen, formen Christoph, Alex und Andreas Glasobjekte. „jetzt muss ich gravieren auch noch. Graveur ist ein eigener Beruf“, mault Sigi augenzwinkernd. „Das ist schon richtig so. Ich lass mich von den Buben gern da hinschieben, wo sie mich brauchen.“ So funktioniert das Kollektiv GlasPunkt. Jeder macht das, wofür er gerade gebraucht wird. „Dann muss ich mir halt auch mal von den Jungen die Arbeit anschaffen lassen.“
Das wird in Zukunft immer häufiger der Fall sein. „Ich werde sicher arbeiten, so lange ich das kann. Aber die Verantwortung werden demnächst die Buben allein tragen. Ich bin dann nur noch Mentor, Tutor. Und ausführendes Organ.“
Engagement für sauberes Trinkwasser
Das Telefon läutet, ein Tüßlinger Gemeinderatsmitglied ist dran, will Sigi Franz‘ Meinung zur Trinkwassersituation hören, weil im Rathaus eine Abstimmung ansteht, wie für das Dorf die Versorgung mit sauberem Wasser zu organisieren ist. Sigi Franz engagiert sich in der Bürgerinitiative Netzwerk Trinkwasser (BINT), die sich formiert hat, um gegen die hohe PFOA-Belastung des Grundwassers unterhalb des Werks Gendorf vorzugehen. Auch so eine Zukunftsfrage, auf die der Glasbläsermeister eine Antwort finden will.
Akribisch trägt er seit Jahren die Fakten zusammen, spricht mit Chemikern, Politikern, Medizinern. Die Firma Dyneon sei die einzige, die Perfluoroctansäure (PFOA) herstelle. Wenn’s um die Frage gehe, wie PFOA ins Trinkwasser gelangen konnte und kann, sollte das Verursacherprinzip geklärt sein. Das Unternehmen durfte in Deutschland noch verunreinigte Abwässer einleiten, als das dem amerikanischen Mutterkonzern auf US-Staatsgebiet schon verboten gewesen sei. Dazu komme ein Störfall, bei dem 1999 in Gendorf eine Anlage in die Luft gegangen und infolgedessen PFOA weit jenseits einer Konzentration des erlaubten Grenzwertes ins Grundwasser gelangt sei.
„PFOA ist hoch giftig. Leberschädigende, reproduktionstoxische und krebserregende Eigenschaften sind nachgewiesen. Und wir haben das im Trinkwasser! Wir vergiften unsere Kinder von klein auf!“ Ein Zustand, den Sigi Franz nicht hinnehmen will. Drum fordert er nachdrücklich, für die Gemeinden nördlich des Werks Gendorf Wasser aus tieferen Schichten zu gewinnen. Die Aktivkohlefilter, die die Industrie bezahlen will, um das Wasser aufzubereiten, sind laut Sigi Franz gar nicht geeignet, PFOA aus dem Wasser zu filtern. „Mei, das ist wie bei einem Nudelsieb. Da bliebe auch was hängen. Aber ganz viel halt nicht.“
„Die Konzentration des Giftes wird noch höher werden“
Dazu kommt der Faktor Zeit: „Das Wasser, das wir heute trinken, ist vor 40 Jahren versickert.“ Die Blütezeit der PFOA-Produktion und der damit verbundenen Einleitung ist also noch gar nicht trinkwasserwirksam. „Die Konzentration des Giftes wird noch höher werden. Das heißt: Alle sind gefordert, Politik, Industrie, wir Bürger. PFOA ist bioakkumulativ, es wird im Körper, in der Leber eingelagert, baut sich nicht ab, reichert sich weiter an.“
Bei dem Thema kann sich Sigi Franz aufregen. Da ist es wieder, das Gefühl, dem System nicht vertrauen zu können. „Das kann und darf nicht sein, dass wir mit dem Leben, mit der Zukunft unserer Kinder spielen.“ Er sieht nicht zuletzt den Freistaat in der Pflicht, endlich gegen die Verursacher des Gifteintrags ins Trinkwasser vorzugehen. Dafür setzt er sich ein. Er demonstriert, er spricht mit Ärzten, Wissenschaftlern Politikern – im Sommer konfrontierten er und seine Mitstreiter den damaligen bayerischen Staatsminister für Umwelt und Verbraucherschutz, Dr. Marcel Huber, mit den Untersuchungsergebnissen. Berührungsängste kennt Sigi Franz nicht. „Scheiß dir nix, dann feit dir nix.“
Sein Engagement als direkt betroffener Bürger ist das eine, Sigi Franz will aber auch in seiner Domäne, der Glaskunst, auf diese Missstände aufmerksam machen. „Glas ist der ideale Werkstoff, um die Sensibilität und Zerbrechlichkeit der für uns lebenswichtigen Umwelt zu symbolisieren.“ Eine vage Idee hat er schon, wie er sein Vorhaben in Szene setzen kann: Ihm schwebt eine Glasskulptur, eine Installation vor, die Lebewesen in ihrer Vergänglichkeit zeigt. Vom Gifteintrag bedrohte Lebewesen, Fische, Amphibien, Menschen, vielleicht als Skelette. So wie Sigi Franz, Alexander Magiera, Andreas Staudinger und Christopher Franz ihre Handwerkskunst beherrschen, ist ein aufrüttelndes Mahnmal zu erwarten.